Mann sitzt mit Händen vor dem Gesicht am Schreibtisch, ein Kollege legt ihm tröstend die Hände auf die Schultern, im Hintergrund steht nachdenklich eine Kollegin.

„Beim Trauern sind Menschen sehr unterschiedlich“

Interview mit Trauerberaterin Tanja Brinkmann

Trauer am Arbeitsplatz hat viele Gesichter und kann jeden treffen: Der Kollege stirbt bei der Arbeit an einem Herzinfarkt, die Kollegin hat einen schweren Verlust im privaten Bereich erlitten. Wie findet das Team einen guten Umgang mit einer solchen Situation? Trauerberaterin Tanja Brinkmann berichtet.

Fragen: Anne Wehrmann
Foto: Kay Michalak
1. September 2023

BAM: Frau Brinkmann, was macht die Trauerbegleitung am Arbeitsplatz speziell?

Tanja Brinkmann: Wenn Unternehmen sich diesem Thema öffnen, gibt es zwei Facetten. Entweder eine trauernde Person kommt an ihren Arbeitsplatz zurück, ­nachdem jemand aus ihrem engsten Umfeld gestorben ist. In dem Fall macht die Trauerbegleitung speziell, dass da häufig eine Unsicherheit aufseiten der Belegschaft und Vorgesetzten ist, wie sie mit dieser Person jetzt umgehen können. Die andere Facette ist, wenn ein Mitarbeiter des Unternehmens ge­­storben ist. Dann ist die Begleitung speziell, weil zwar alle im Team betroffen sind, aber jeder eine andere Beziehung zu dem oder der Verstorbenen hatte – und dadurch letztlich alle unterschiedlich trauern.

Mit welchen konkreten Themen und Fragen kommen Betroffene auf Sie zu?

Wenn jemand aus dem Team gestorben ist, sind es meistens die Führungskräfte oder Unternehmensleitungen, die auf mich zukommen. Auf der einen Seite sind sie selbst betroffen, und auf der anderen Seite versuchen sie, den Laden irgendwie am Laufen zu halten. Das führt häufig zu einer Überforderung. Und zu dem Gefühl, dass etwas fehlt, um wieder handlungsfähig zu sein. Viele Unter­nehmen ­wählen die Strategie, möglichst schnell wieder Normalität herzu­stellen. Aber „Business as unusual“ kann nicht mit „­Business as usual“ beantwortet werden. Damit wird die Trauer über den Verlust unter den Teppich gekehrt, aber das ploppt immer wieder auf.

„‚Business as unusual‘ kann nicht mit ‚Business as usual‘ beantwortet werden.“
Tanja M. Brinkmann

Was können Sie dann tun, um das Team wieder handlungsfähig zu machen? Oder ist das gar nicht der Hauptimpuls?

Nein. Der Hauptimpuls ist, unter den Teppich zu schauen und zu sehen, was da eigentlich für eine Trauer ist. Klarzumachen, dass sie sein darf. Zu diskutieren, wie das Team diese Trauer gemeinsam leben kann. Und was es braucht, damit der Umgang mit dem Verlust leichter wird.

Wie können Beschäftigte damit umgehen, wenn ein Kollege oder eine Kollegin stirbt?

Dafür gibt es keinen Leitfaden, keinen Masterplan. Wenn ich in ein Unternehmen komme, mache ich mir zuerst ein Bild, welche Unternehmenskultur dort herrscht. Wie kann überhaupt über Privates geredet werden? In manchen Unternehmen ist das völlig etabliert, in anderen weniger bis gar nicht. Und selbst wenn private Themen möglich sind, ist der zweite Punkt: Kann ich auch über Emotionen reden, die ein Trauerfall natürlich auch auslöst? Da schaue ich dann gemeinsam mit dem Team, wie sich ein gemeinsamer Raum schaffen lässt – damit die Emotionen, die da sind, auch ihren Platz bekommen.

Trauerberaterin Tanja Brinkmann im Porträt
Trauerberaterin Tanja Brinkmann (Foto: Kerstin Rolfes)

Häufiger kommt es vor, dass jemand aus dem Team einen Menschen verliert, der ihm sehr am Herzen lag. Wie sollten sich die anderen in dieser Situation ­verhalten?

Das können ganz kleine Dinge sein, die da unter­stützen. Zum Beispiel ein Willkommensplakat bei der Rückkehr an den Arbeitsplatz, ein Blumenstrauß vor dem Spind – einfach die Aufmerksamkeit für die Person. Und die ­Person zu fragen, ob sie darüber sprechen möchte oder lieber nicht. Bestenfalls klärt das die Führungskraft vorher. Den Trauernden empfehle ich immer, dass sie selbst definieren, was sie brauchen. Manche möchten über ihren Verlust reden, andere wollen einfach nur Arbeit und Normalität. Da sind Menschen sehr unterschiedlich. Abgesehen davon kann Rücksichtnahme aus dem Kollegium extrem hilfreich sein. Zu sehen, dass da jemand gerade einen wichtigen Menschen in seinem Leben verloren hat und deswegen nicht hundertprozentig leistungsfähig ist.

Viele würden gern Anteil nehmen, wissen aber nicht, wie – und ziehen sich dann stattdessen komplett zurück. Was macht das mit einem trauernden ­Menschen?

Das ist für die meisten Trauernden sehr verletzend, gerade wenn es von Vorgesetzten passiert. Die Erwartungshaltung der Trauernden ist insbesondere gegenüber den Vorgesetzten hoch, dass ihr Verlust gesehen wird. Auch da reicht manchmal eine Kleinigkeit. Eine Textnachricht, eine E-Mail, ein persönlicher Willkommensgruß. Aber ­dieses Sich-­Zurücknehmen aus Unsicherheit ist das Häufigste, was ­passiert. Meine Empfehlung ist dann immer, trotzdem in den Kontakt zu gehen und zu sagen: „Ich weiß leider überhaupt nicht, was ich gerade sagen soll. Aber wenn du irgend­etwas brauchst, sag es mir total gern.“ Also die Unsicherheit transparent zu machen, und dann ist eigentlich schon eine ­Begegnung da.

Wann ist nach einem Verlust im privaten Bereich der richtige Zeitpunkt, wieder an den Arbeitsplatz zurückzukehren? Gibt es den überhaupt?

Nein, überhaupt nicht. Da gibt es nur den individuell stimmigen Zeitpunkt. Bei manchen ist das sofort, bei anderen erst nach einer ganzen Weile. Das kommt natürlich auch sehr darauf an, wer gestorben ist, wie nah mir die Person war. Und auch da spielt die Unternehmenskultur wieder eine Rolle. Wenn ich weiß, dass von mir sofort eine 150-­prozentige Leistungsfähigkeit erwartet wird, dann lasse ich mich länger krankschreiben. Wenn aber die Botschaft lautet: „Wir ­würden uns total freuen, wenn du wiederkommst. Du musst auch nicht mit 100 Prozent anfangen – mach einfach so viel, wie du kannst“, dann bringt das eine große Entlastung. Wenn Trauernde eine solche Option haben, sind sie meistens ganz überrascht, dass viel mehr geht, als sie am Anfang dachten.

Zur Person

Tanja M. Brinkmann ist Trauerberaterin in Bremen und begleitet Menschen nach einem schweren Verlust. Darüber ­hinaus ist sie Trainerin und Fort­bildnerin im Bereich Trauer und Palliativ­ver­sorgung. Zusammen mit einer ­Kollegin hat sie 2019 das Netzwerk „Trauer am Arbeitsplatz“ gegründet, dem rund 20 Trauerberaterinnen und -berater aus dem ­ge­­samten deutschsprachigen Raum angehören.