„Wer bei Kindern spart, zahlt später drauf“

Die Ampelkoalition hat sich auf eine Kindergrundsicherung geeinigt. Sie soll die finanziellen Hilfen für Familien bündeln. Warum das zwar ein Schritt in die richtige Richtung ist – aber zu wenig, um Kinderarmut wirklich zu bekämpfen

Fragen: Jan Zier
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27. September 2023

Herr Schwarzer, heute hat das Bundeskabinett das Gesetz für die neue Kindergrundsicherung beschlossen – ist das eine gute Nachricht?

Thomas Schwarzer: Gut ist, dass zentrale Familienleistungen gebündelt werden sollen, also das Kindergeld, der Kinderzuschlag und die Mittel für Kinder aus dem Bürgergeld und der Sozialhilfe. All das sollen ­­Familien ab 2025 nicht mehr einzeln in langwierigen bürokratischen Verfahren beantragen müssen. Die Familien werden nach einem digitalen „Datencheck“ benachrichtigt, ob ihnen der einheitliche, einkommensunabhängige Grundbetrag zusteht – das jetzige Kindergeld – oder ob sie einen nach dem Alter und dem Einkommen der Eltern gestaffelten Zusatzbetrag für Bildung, Teilhabe und Wohnkosten erhalten. Wir fordern, dass diese Pauschalen automatisch mit der Kindergrundsicherung ausgezahlt werden – also ohne Nachweispflicht und ohne Beschränkungen auf bestimmte Aktivitäten. Dennoch: Mit diesem Gesetzentwurf sind die Familien nicht mehr Bittsteller, sondern haben einen Anspruch auf dieses Geld für ihre Kinder.

Welche Kritik hat die Arbeitnehmerkammer?

Schlecht ist, dass die konkrete Ausgestaltung der neuen Kindergrundsicherung auf die lange Bank geschoben wird. Deshalb geistern durch die politische Debatte verwirrende Milliardenbeträge. Erst waren es 20 Milliarden Euro, dann zwölf, jetzt sind es nur noch 2,4. Um überhaupt zu einem Kompromiss zu kommen, hat sich die Ampelregierung gegen höhere Geldleistungen entschieden. Eine Neuberechnung des tatsächlichen Grundbedarfs von Kindern für gesunde Ernährung, Kleidung, Bildung, Teilhabe, digitale Geräte und anderes mehr war und ist jedoch der Kern einer echten Kindergrundsicherung.

Vor Kurzem wurden doch das Kindergeld und auch die Regelsätze erhöht. Reicht das nicht aus?  

Das ist selbstverständlich gut. Denn zehn, 20 oder 40 Euro mehr in der Kasse, das ist für viele Familien mit wenig Geld eine große Erleichterung. Gerade diese Familien waren nachweislich schon in der Corona-Pandemie besonders gebeutelt. Und sie sind jetzt durch die enormen Preissteigerungen für Energie und Lebensmittel wieder übermäßig belastet. Ein wirklich gerechter Ausgleich durch die neue Kindergrundsicherung wäre deshalb eine wichtige Zukunftsinvestition.

Wie meinen Sie das?

Es ist doch nicht so, dass die Familien- und Kinderarmut nichts kostet! Deshalb hat gerade eine aktuelle Studie des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung die gesellschaftlichen Folgekosten berechnet: rund 100 Milliarden Euro. Die Gesundheit und die Bildungschancen von vielen Kindern, die in Armut aufwachsen, sind erheblich beeinträchtigt. Für sie werden Staat und Gesellschaft Jahre bis Jahrzehnte lang höhere Sozialausgaben zahlen. Außerdem entgehen den Unternehmen so wertvolle Fachkräfte. Wer bei den Kindern spart, zahlt später drauf.

Arme Kinder haben arme Eltern. Wie viel Geld muss man verdienen, um sich Kinder leisten zu können, ohne in die Armut abzurutschen? 

Von den derzeit rund drei Millionen Kindern und Jugendlichen, die Sozialleistungen beziehen, lebt mehr als die Hälfte in Haushalten von Erwerbstätigen. Lebt in diesen Haushalten ein Kind, reicht der derzeitige Mindestlohn von zwölf Euro nicht aus, erst bei 15 Euro könnte die Armutsschwelle überwunden werden. Deshalb muss die Bekämpfung von Kinderarmut auch am Arbeitsmarkt ansetzen: durch einen höheren Mindestlohn und eine Steigerung der Tarifbindung.

 

Thomas Schwarzer ist Referent für kommunale Sozialpolitik bei der Arbeitnehmerkammer Bremen