"Unreflektierte Ausbildungsabbrüche in der Pflege verhindern"

Anke Schmidt, Leiterin des Projekts "Pflegeausbildung – bleib dran", berichtet aus ihrer Beratungspraxis

Der Abbruch einer Ausbildung kann unterschiedliche Ursachen haben: Viele davon lassen sich mit etwas Unterstützung aus dem Weg räumen, bevor es so weit kommt. Anke Schmidt, Leiterin des Projekts „Pflegeausbildung – bleib dran“, berichtet aus ihrer Beratungspraxis.

Fragen: Anne-Katrin Wehrmann
Foto: Jonas Ginter
1. Januar 2024

BAM: Frau Schmidt, was war der Hintergrund für den Start von „Pflegeausbildung – bleib dran“?

Anke Schmidt: Ein Drittel aller Auszubildenden, die 2020 im Land Bremen ihre Pflegeausbildung begonnen haben, sind unterwegs irgendwo verloren gegangen und haben nicht ihr Examen gemacht. Damit ist die Abbrecherquote ähnlich hoch wie in anderen Berufen – aber in einem Mangelberuf wie der Pflege ist das ein großes Problem.

Was sind die konkreten Ziele Ihres Beratungsangebots?

Das Hauptziel ist es, unreflektierte Ausbildungsab­brüche zu verhindern: also spontane Entscheidungen durch Konflikte in der Ausbildung oder persönliche Problem­lagen, die sich bei entsprechender Begleitung bear­beiten ließen. Aber auch unreflektiert vonseiten der Betriebe und ­Pflegeschulen. Es gibt natürlich auch Ausbildungsver­hältnisse, bei denen es sinnvoll ist, sie wieder zu lösen – wenn sich zum Beispiel jemand schlicht für den falschen Beruf entschieden hat. Uns geht es um die anderen Fälle. Um die, wo es ent­weder in der Schule, persönlich oder im Betrieb so hakt, dass die Ausbildung gefährdet ist. Da wollen wir Hilfsmöglichkeiten aufzeigen und die jungen Menschen dabei begleiten, Lösungen zu finden.

Das setzt voraus, dass die Auszubildenden auch ­wirklich zu Ihnen kommen, oder?

Ja, das ist so. Wobei meine Anknüpfungspunkte vorrangig die Pflegeschulen sind: Davon gibt es im Land Bremen neun an elf Standorten, und da kommen alle Auszubildenden zusammen. Ich biete dort an jedem der Standorte alle zwei Wochen Sprechstunden an und stelle mich in den Kursen vor.

Richten Sie sich mit der Beratung ausschließlich an die Auszubildenden oder auch an die Lehrkräfte, Betriebe und Träger?

Letzteres. Ich berate grundsätzlich jeden, der Akteur in der Pflegeausbildung ist. Das kann die Praxisanleiterin vor Ort sein, aber auch eine Einrichtungsleitung oder eine Pflege­dienstleitung. Auch Lehrkräfte und Schulleitungen, sofern das gewollt und akzeptiert ist.

„Die Abbrecherquote ist ­ähnlich hoch wie in ­anderen Berufen – aber in einem ­Mangelberuf wie der Pflege ist das ein großes ­Problem.“

Wie läuft so eine Beratung dann ab?

Das ist ganz unterschiedlich und hängt davon ab, worum es geht. Es kann zum Beispiel sein, dass jemand Schwierigkeiten in der Schule hat, weil vermutlich eine un­diagnostizierte Lese-Rechtschreib-Schwäche vorliegt. Dann bringe ich in Erfahrung, wie man als junger Mensch in ­Bremen so etwas diagnostiziert bekommen kann. Die Ergebnisse fasse ich zusammen, schicke sie per Mail raus und frage in der nächsten Sprechstunde noch einmal nach, ob alles geklappt hat. Dann gibt es Beratungsgespräche, wo ich erst einmal herausfinden muss, wo der Hase im Pfeffer liegt. Vielleicht gibt es finanzielle Probleme, dann wäre es eine Option, Wohngeld zu beantragen. Oder eine Auszubildende fühlt sich psychisch sehr belastet: Dann versuche ich herauszuhören, was die Ursachen sind, ob es häusliche Probleme gibt oder was auch immer – um gemeinsam eine Idee zu entwickeln, wie man an das Problem herangehen kann.

Was sind die wesentlichen Probleme, mit denen die Auszubildenden zu Ihnen kommen?

Zu jeweils etwa einem Drittel haben die Themen mit der Ausbildung selbst, mit der Schule und mit privaten Problemen zu tun. Wenn die schulischen Leistungen so sind, dass daraus ein Abbruch resultieren kann, kann ich nur versuchen, Hilfsangebote zu vermitteln – zum Beispiel über das Jobcenter. In der Praxis geht es oft darum, dass sich Auszubildende allein und nicht genügend angeleitet fühlen. Das ist auch ganz objektiv gesehen ein Problem. Und zwar nicht aus bösem Willen, sondern weil einfach der Druck in der Praxis so groß ist, dass es schwerfällt, Auszubildende angemessen zu begleiten und an ihre Aufgaben heranzuführen.

Wie können Sie denn da konkret helfen?

Ich kann in die Einrichtung gehen und das Gespräch mit den entsprechenden Verantwortlichen suchen. Meine bisherigen Erfahrungen zeigen, dass es da durchaus eine große Offenheit und Gesprächsbereitschaft gibt. Allerdings wird dann auch der ganze Frust über die sehr schwierigen Rahmen­bedingungen deutlich.

Als dritten Bereich haben Sie private Probleme genannt. Können Sie dafür Beispiele nennen?

Aktuell habe ich zwei ausländische Azubis in der Be­ratung, die zum 1. Oktober ihre Ausbildung in Bremen be­­gonnen haben und erst wenige Tage vorher nach Deutschland einreisen durften. Jetzt stehen sie hier vor schier unüberwindbaren Schwierigkeiten, was bürokratische Anforderungen angeht – vom polizeilichen Führungszeugnis über die Beantragung eines Aufenthaltstitels mit E-Funktion bis hin zur Wohnungsproblematik. Es ist nicht meine Kernaufgabe, da zu helfen, aber das sind natürlich auch Gründe für Ausbildungsabbrüche. Und dann gibt es Themen wie Burnout, psychische Erkrankungen, Psychosen und psychosoziale Probleme. Hier kann ich unterstützen, indem ich die Möglichkeiten aufzeige, Hilfe zu bekommen. Es gibt Verfahren, über die Krankenkassen und die Hausärzte zeitnah an Termine zu kommen, was viele gar nicht wissen.

Zur Person
Anke Schmidt leitet das Projekt „Pflegeaus­bildung – bleib dran“, ein gemeinsam von der Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz und der Arbeitnehmerkammer finanziertes Beratungsangebot. Es richtet sich an alle Auszubildenden an den Pflegeschulen im Land Bremen, die aufgrund von Schwierigkeiten in der Ausbildung oder persönlichen Problemen überlegen, ihre Ausbildung abzubrechen.