Alkoholsucht am Arbeitsplatz

Was tun, wenn Kolleginnen oder Kollegen von Sucht ­betroffen sind?

Alkohol hat am Arbeitsplatz nichts ­verloren. Doch was tun, wenn Kolleginnen oder Kollegen von Sucht ­betroffen sind?

Text: Insa Lohmann
Foto: Kay Michalak
1. Januar 2024

Das Feierabendbier nach der Arbeit, die Weihnachtsfeier oder der Abschluss beim Geschäftsessen: Alkohol ist im ­Alltag omnipräsent, auch bei ­vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeit­neh­mern. Anlässe, zu denen ­getrunken wird, gibt es reichlich. Die Übergänge vom maßvollen Trinken zum Missbrauch bis hin zum kritischen ­Konsum oder einer Abhängigkeit sind oft ­fließend. So ist es nicht verwunderlich, dass Alkoholabhängigkeit hierzulande eine der häufigsten Süchte ist: In Deutschland zeigt Schätzungen zufolge fast jede zehnte Person einen problematischen Konsum von Alkohol, allein im Bundesland Bremen sind es 38 Prozent. Suchtkrankheiten machen dabei auch vor Betriebstüren keinen Halt, denn viele Betroffene gehen einem Beruf nach und können ihre Sucht irgendwann auch dort nicht mehr verbergen. Kolleginnen, Kollegen und Vorgesetzte sind häufig ratlos und fragen sich: Wie erkenne ich eine Sucht am Arbeitsplatz? Was kann ich tun? Und welche Präventionsmöglichkeiten gibt es?

Warnzeichen wahrnehmen

Oft sind es kleine Warnzeichen, die schleichend kommen und Mitarbeitende und Vorgesetzte mit der Zeit hellhörig werden lassen: häufige Fehlzeiten, Vernachlässigung des Äußeren, körperliche Veränderungen, fehlende Konzentration oder ständige kurze Pausen. Leiden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an einer Alkoholsucht, lässt sich das irgendwann auch im Betrieb nicht mehr kaschieren. Sucht ist dabei längst kein Randproblem, es gibt in allen Alters- und Gesellschaftsschichten viele Betroffene – und eine hohe Dunkelziffer. Die Corona-­Pandemie hat das Konsumverhalten bei vielen noch verstärkt, wie ­Matthias Müller vom RehaCentrum Alt-Osterholz weiß. Der Grund: Homeoffice und fehlende Hilfsangebote wie Selbsthilfegruppen. Wer zu Müller und seinen Kolleginnen und Kollegen in die ­Therapie kommt, hat oft jahrelangen Konsum hinter sich. Viele Berufstätige sind am Arbeitsplatz aufgefallen. Für den Psycho­logen und Psychotherapeuten aus Bremen unter den Umständen fast ein Glücksfall, denn: „Für viele Betroffene ist das die Motivation, sich in Behandlung zu begeben.“

„Niemand muss sich für eine Sucht schämen. Es ist eine Erkrankung.“
Kristina Sander, Ambulante Suchthilfe

Ansprechen als wichtiger Schritt

Doch das Thema Alkoholsucht am Arbeitsplatz ist sehr sensibel und erfordert viel Einfühlungsvermögen im Umgang mit den betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. „­Vielen ist es natürlich erst einmal unangenehm, wenn sie am Arbeitsplatz angesprochen werden“, weiß ­Matthias Müller. „Aber es ist ein ­nötiger und wichtiger Schritt.“ Das bestätigt auch Dennis Wernstedt, zuständig für Arbeits- und Gesundheitsschutz bei der Arbeitnehmerkammer Bremen und spezia­lisiert auf betriebliche Suchtprävention: „Man sollte das unbedingt ansprechen. Es hilft niemandem, wenn man sich schützend vor Kollegen oder Mitarbeitende stellt.“ Doch was kann der Betrieb konkret tun, wenn bei Arbeitnehmenden der Verdacht auf eine Alkoholsucht besteht?

Was kann der Betrieb tun?

Wer sich als nahestehende Kollegin oder Kollege Sorgen macht, kann dies zunächst gegenüber dem Betroffenen ausdrücken und seine Hilfestellung anbieten. „Wichtig ist: ein vertrautes Setting schaffen, zuhören und fragen, was los ist“, rät Wernstedt. Man könne sich auch an die Sozialberatung, einen Suchtbeauftragten oder den Betriebsrat wenden, falls das Unternehmen darüber verfügt. Aber: Es liege nicht in der Verantwortung von Angestellten, bei einer Alkoholsucht von Kolleginnen und Kollegen selbst aktiv gegenüber den Betroffenen zu werden. Anders sieht es bei der Chefetage aus: „Führungskräfte und Arbeitgeber haben eine Fürsorgepflicht“, sagt Kammer-Experte ­Dennis Wernstedt. Denn im schlimmsten Fall kann der Konsum eine mögliche Gefährdung am Arbeitsplatz bedeuten. Das Arbeitsschutzgesetz ist eindeutig: Der Arbeitgeber ist demnach zur Prävention und zum Abbau gesundheitlicher Gefährdungen am Arbeitsplatz verpflichtet.

„Führungskräfte und Arbeitgeber haben eine Fürsorgepflicht.“
Dennis Wernstedt, zuständig für ­­Arbeits- und Gesundheitsschutz bei der Arbeitnehmerkammer

Fällt eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter durch Alkoholkonsum auf, muss der Betrieb handeln. Dabei muss nicht sofort eine Abmahnung erfolgen, vielmehr ist Fingerspitzengefühl gefragt. An erster Stelle kann beispielsweise ein Fürsorgegespräch stehen, in dem der Vorgesetzte seine Beobachtungen mitteilt und – wie der Name schon sagt – seine Sorge ausdrückt. Matthias Müller vom RehaCentrum Alt-­Osterholz rät Unternehmen dazu, diese Gespräche von einem Suchtbeauftragten durchführen zu lassen: „Es hat sich bewährt, wenn geschulte Personen das im Betrieb übernehmen.“ Ziel ist, dem oder der Beschäftigten deutlich zu machen, dass er oder sie Unterstützung vom Unternehmen und der Führungskraft erhält. Zudem kann auf Hilfsnetzwerke verwiesen werden. Das Fürsorgegespräch hat zunächst keinerlei Konsequenzen. „Aber betroffene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind gut beraten, sich die Sucht spätestens dann einzugestehen“, sagt Dennis Wernstedt von der Arbeitnehmer­kammer Bremen. „Man sollte dem Betroffenen signalisieren: Wenn du jetzt etwas unternimmst, können wir weiter zusammenarbeiten“, sagt Kristina Sander von der Ambulanten Suchthilfe Bremen. „Aber der Arbeitgeber muss auch deutlich machen, dass die Sucht einer Therapie und Behandlung bedarf.“

„Vielen ist es ­natürlich erst einmal ­unangenehm, wenn sie am Arbeitsplatz ­angesprochen werden. Aber es ist ein nötiger und wichtiger Schritt.“
Matthias Müller, RehaCentrum ­Alt-Osterholz Psychische Gesundheit als ­Vorbeugung

In größeren Betrieben ist es üblich, auf einen sogenannten Stufenplan zurückzugreifen, der eingeleitet wird, wenn es zu suchtbedingtem Verhalten am Arbeitsplatz kommt und damit ein Verstoß gegen den Arbeitsvertrag vorliegt. Darin wird der Arbeitnehmerin oder dem Arbeitnehmer interne oder externe Unterstützung angeboten. Erst wenn keine Hilfe angenommen wird, folgen weitere Sanktionen – diese reichen von der Abmahnung bis hin zur Kündigung. „Mein Rat ist, sich so früh wie möglich mit dem oder der Betroffenen zusammenzusetzen“, sagt Kristina Sander von der Ambulanten Suchthilfe. „Stufenpläne fangen oft erst an, wenn das Problem bereits da ist, doch das ist aus meiner Sicht zu spät.“ Die Psychologin und Psychotherapeutin plädiert für eine Suchtprävention in Unternehmen, damit es erst gar nicht dazu kommt. Doch wie kann eine betrieb­liche Suchtprävention aus­sehen? „Arbeitgeber müssen das Thema ­psychische Gesundheit ernst nehmen“, sagt Kristina ­Sander. Diese könne schließlich auch durch den Beruf selbst be­­lastet sein. „Hier ist der Arbeitgeber in der Pflicht. ­Psychische Gesundheit ist aus meiner Sicht die beste Prävention.“ Wichtig sei auch, das Thema (­Alkohol-)Sucht immer ­wieder im Unter­nehmen aufzugreifen und zu enttabuisieren: „­Niemand muss sich für eine Sucht schämen“, sagt Kristina ­Sander. „Es ist eine Erkrankung.“


Ansprechpartner für Betroffene und Angehörige

Unter dem Dach der Bremischen Landes­stelle für Suchtfragen (BreLS) e. V. haben sich verschiedene Organi­sationen und Vereine aus dem Bundesland Bremen zusammengeschlossen, die in der Suchthilfe und Suchtprävention tätig sind. Betroffene und Ange­hörige, die direkt oder indirekt von einer Suchtproblematik betroffen sind, be­­kommen hier Unter­stützung bei der Suche nach geeigneten Hilfe-­Institutionen wie Selbsthilfegruppen, Beratungseinrichtungen, Ein­richtungen für ambulante Reha-Maßnahmen be­ziehungsweise Nachsorge, Ent­gif­tungs­einrichtungen und Fach­kliniken für Entwöhnungs­behandlungen (stationäre Reha-­Maßnahmen).