Lagerarbeiterin bei der Arbeit

„Arbeit lohnt sich definitiv immer“

Warum man mit einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung immer besser dasteht als mit dem Bürgergeld

Fragen: Jan Zier
Foto: iStock

10. Januar 2024

Immer wieder wird debattiert, ob Arbeit sich lohnt. Wie groß ist denn der Unterschied zwischen dem, was man mit dem Mindestlohn verdient und dem, was man durchs Bürgergeld bekommt?

Magnus Brosig: Zunächst einmal: Wenn jetzt behauptet wird, es würden zunehmend Menschen vom Job ins Bürgergeld wechseln, stimmt das einfach nicht – diese Zahlen sind in diesem Jahr sogar noch weiter zurückgegangen. Für solch ein Verhalten gibt es auch gar keinen Anlass, denn sozialversicherungspflichtige Beschäftigung lohnt sich definitiv immer!Man ist dadurch in den Arbeitsmarkt eingebunden, hat hoffentlich Chancen auf berufliche Entwicklung, erwirbt Rentenansprüche und hat nicht zuletzt jeden Monat weit mehr auf dem Konto als jemand, der nicht arbeitet und nur Bürgergeld bezieht.

Können Sie das mal an einem Beispiel konkret vorrechnen?

Ja! Ein Single, der in der Stadt Bremen wohnt, Vollzeit arbeitet und zum Mindestlohn aktuell etwas mehr als 2.000 Euro brutto verdient, erhält davon rund 1.500 Euro netto und kann in einer typischen Mietwohnung zusätzlich 40 Euro Wohngeld bekommen. Insgesamt kommt er also auf gut 1.540 Euro. Nichtarbeit brächte ihm hingegen nur rund 1.050 Euro Bürgergeld, vom dem er auch noch die Miete bestreiten müsste – und absehbar drohen ihm da ja noch staatliche Sanktionen.

Wie sieht das bei Familien aus?  

Wenn ein Ehepartner als Alleinverdienender den gleichen Lohn für eine Familie mit zwei kleinen Kindern erzielt – netto sind das dann etwas mehr als 1.600 Euro –, kommt er mit Kindergeld, Kinderzuschlag und Wohngeld auf rund 3.340 Euro Nettoeinkommen pro Monat. Das sind etwa 720 Euro mehr als das, was diese Familie ohne Arbeit an Bürgergeld inklusive Unterkunftskosten (Wohnung und Heizung) erhalten würde. Natürlich muss man all die Leistungen dann auch beantragen, aber sie stehen einem ja zu – und auch das Bürgergeld kommt keineswegs automatisch.

Sind die Sozialleistungen zu hoch oder die Mindestlöhne zu niedrig?

Die Sozialleistungen in der Grundsicherung – etwa das Bürgergeld – sind keineswegs zu hoch! Um den Betroffenen wirklich eine angemessene Teilhabe zu ermöglichen, müssten sie bei fairer Berechnung sogar merklich erhöht werden, wie beispielsweise der Paritätische Wohlfahrtsverband regelmäßig vorrechnet. In jedem Fall zu niedrig ist aber auch der gesetzliche Mindestlohn, und das fast schon traditionell. Die Anhebung auf zwölf Euro pro Stunde war eine überfällige Ausnahme, wird aber durch die geringen Erhöhungen um insgesamt 82 Cent bis 2025 wieder konterkariert.

Es gibt ein Nebenher von Leistungen, das kaum noch jemand versteht.


Magnus Brosig, Referent für Sozialversicherungs- und Steuerpolitik

Um das von der EU vorgegebene Ziel von 60 Prozent des mittleren Einkommens zu erreichen, hätte der Mindestlohn schon 2023 bei etwa 13,50 Euro liegen müssen, im diesem Jahr noch einmal 75 Cent höher. Und natürlich gilt: Ein Mindestlohn ist immer nur die untere Schwelle des gerade noch Erträglichen, kein Gütesiegel! Für wirklich gute Löhne müssen wir dringend die Tarifbindung stärken, die im Land Bremen zwar etwas über dem bundesweiten Durchschnitt liegt, mit 56 Prozent aber auch hier viel zu niedrig ist.

Warum kursieren so viele unterschiedliche Zahlen in der Debatte um den Lohnabstand?

Das System von Abgaben und Sozialleistungen ist sehr kompliziert, und durch die unterschiedlichen Wohnkosten in den Kommunen bekommt man für Modellrechnungen von Ort zu Ort verschiedene Ergebnisse. Diese Berechnungen hängen dann natürlich auch davon ab, was man genau zugrunde legt – welche Wochenarbeitszeit, welche Familienkonstellation, welche Wohnungsgröße und so weiter. Und weil sich die meisten Werte im Sozialrecht regelmäßig ändern, ist das, was im November 2023 noch stimmte, im Januar 2024 schon wieder veraltet. Außerdem ist es wichtig, dass auch wirklich alle Posten – zum Beispiel auch der Kinderzuschlag – berücksichtigt werden, weil man sonst Äpfel mit Birnen vergleicht. Was gar nicht geht, aber teilweise trotzdem gemacht wird, ist ein Vergleich des vollen Bürgergeldes für eine Familie mit dem bloßen Nettolohn eines Alleinverdieners. Mit solch schiefen Rechnungen kommt man dann schnell zum Fehlschluss, dass sich Arbeit nicht lohnt, obwohl das mit der Realität nichts zu tun hat.

Was muss sich aus Sicht der Arbeitnehmerkammer konkret ändern?

Damit die Debatte wieder vom Kopf auf die Füße gestellt wird, brauchen wir zunächst deutlich angemessenere Löhne. Dann müssen wir sicherstellen, dass die Sozialleistungen nicht weiter viel zu niedrig sind. Das gilt nicht nur für die Regelsätze für Erwachsene, sondern auch für die geplante Kindergrundsicherung, die nach derzeitigem Stand deutlich niedriger ausfallen wird als notwendig. Aber, und das ist ein weiterer wichtiger Punkt: Maßnahmen wie eine Kindergrundsicherung können, wenn sie gut gemacht sind, zumindest dazu dienen, das Gesamtsystem zu verschlanken und zugänglicher zu machen. Es gibt aktuell einfach ein ziemliches Nebenher von Leistungen, das kaum noch jemand versteht. Ansprüche werden deshalb oft gar nicht geltend gemacht, und selbst dann kann es je nach Konstellation absurderweise sogar dazu kommen, dass sich ein etwas höherer Lohn netto gar nicht wirklich bemerkbar macht. Gegenüber der Nichtarbeit lohnt sich Beschäftigung sehr, aber bei Mehrarbeit ist das nicht immer ganz so klar. Das muss der Gesetzgeber angehen, und die Ampelkoalition hat sich das ja auch vorgenommen.

Zahlen für die Stadt Bremen

Lohnabstand zwischen Bürgergeld und einem Mindestlohn-Job bei einer 38-Stunden-Woche